Boulespielen kann jeder, aber gewinnen können nur wenige

Artikel in der Badischen Zeitung vom 20. August 2019

Wer an Boule denkt, dem kommt der entspannte Urlaub in Südfrankreich in den Sinn. Doch das Training erfordert höchste Konzentration, wie ein Besuch beim Pétanque-Verein in Kirchzarten zeigt.
Langsam presst Martin Meier-Stier Luft durch seine Lippen. Die Augenlider des Mannes mit den bunten Basketballschuhen verengen sich, der Blick fixiert die kleine, Holzkugel gut acht Meter vor ihm. Er holt aus und lässt den rechten Arm nach vorne schnellen.

Die blanke Stahlkugel gleitet aus der Handfläche. In einer perfekten Bahn saust die Kugel durch die Luft, prallt auf den feinen Kies und bleibt kurz vor der kleinen Kugel liegen. Genau da sollte sie hin. Der Wurf, den der Vorsitzende des Pétanque-Vereins Kirchzarten auf den Platz gelegt hat, war ziemlich gut. Doch Martin Meier-Stier verzieht keine Miene. Das Spiel gegen Otto Wößner ist noch nicht gewonnen.


Alle Fotos: Jannik Jürgens, Badische Zeitung

Wer an Boule denkt, dem kommt der Urlaub in Südfrankreich in den Sinn, wo wettergegerbte Männer in weißen Unterhemden stundenlang im Schatten von Platanen Kugeln werfen. Die Zeit scheint dabei still zu stehen und der nicht enden wollende, provenzalische Schwatz genauso wichtig wie die Eiswürfel im Pastis-Glas. Boule, das bedeutet, eine lockere Kugel zu schieben. Und bloß nicht ins Schwitzen kommen.

Viele Worte verlieren die Spieler nicht beim Training.

Auf dem Platz hinter dem Schulzentrum in Kirchzarten werden weniger Worte verloren. Schon gar nicht, wenn ein Spieler im roten Plastikkreis steht und sich auf den nächsten Wurf konzentriert. Es gibt ein kurzes Lob, wenn die eigene Kugel die gegnerische weggeschossen hat und ganz nah an der hölzerne Zielkugel, dem sogenannten Schweinchen, liegt.

Denn das ist das Ziel: So viele Kugeln wie möglich so nah wie möglich am Schweinchen platzieren. Wenn die Kugel zu weit rollt, wird sich geneckt. Doch: „Wenn einer Mist baut, sollte man ihn nicht runtermachen, sondern motivieren“, sagt Heinz Röwer, der mit 83 Jahren in der zweiten Mannschaft spielt.

Man merkt, die Mitglieder des Pétanque-Vereins sind mit Ernst bei der Sache. Die erste Mannschaft spielt in der Oberliga und trainiert einmal pro Woche. Trainer Michael Henkes hat sich ein Blitzturnier ausgedacht. Anstatt wie sonst im Zweier- oder Dreierteam spielt heute jeder gegen jeden und hat nur drei Kugeln zur Verfügung. Es werden die gewonnen Punkte gezählt – nicht die Spiele, die normalerweise enden, wenn eine Mannschaft 13 Punkte erreicht hat.

Boule lässt sich bis ins hohe Alter spielen.

Henkes sitzt auf einer Bank, zieht an seinem Zigarillo und notiert den Ausgang der Partien. Man kann dem 66-Jährigen ansehen, dass er Sport studiert hat und früher Leichtathlet war. Dann kamen zwei Bandscheibenvorfälle und Henkes widmete sich dem Boulespiel. „Ich wollte etwas haben, was ich bis ins hohe Alter spielen kann“, sagt er. Seit 20 Jahren ist er Trainer.

Erfolgreiches Boulespielen sei vor allem Kopfsache. „Man muss es im entscheidenden Moment auf die Reihe kriegen“, sagt Henkes. Und dürfe nicht zögern oder gar zweifeln. Es gebe zwar Spieler, die erst richtig gut würden, wenn viele Leute ihnen dabei zuschauten. Doch solche Wettkampfspieler seien selten. „Ich war einer davon“, sagt Henkes.

Die große Stärke des Kirchzartener Teams sei der Zusammenhalt. Viele gute Einzelspieler machten noch kein gutes Team. Doch die Kirchzartener motivierten sich gegenseitig und hielten zusammen, auch wenn es nicht gut laufe. Die aktuelle Saison in der Oberliga hat die erste Mannschaft als Zweitletzter abgeschlossen, was Henkes dennoch als Erfolg wertet. Man müsse sich das mal überlegen: „Unsere Leistungsträger sind teilweise 83 Jahre alt“, sagt der Coach.

Für den Sieger gibt es eine Flasche Riesling.

Heinz Röwer ist einer von diesen Leistungsträgern. Wenn man ihn fragt, warum er Boule spielt, überlegt er einen Moment und sagt: „Irgendwann bin ich mal mitgenommen worden.“ Boule könne man immer spielen. „Sechs Mal in der Woche“, sagt Röwer. Es könne vorkommen, dass er an dem ein oder anderen Tag nicht viel Lust habe, zum Platz zu gehen. „Aber ich bin ja zuständig, dass die nicht verdursten“, sagt er und zeigt auf die Kühlbox am Rande der Boulebahn. Mit einer Schubkarre hat er die Getränke aus dem Fahrradkeller der Schule hergefahren. Dort hat der Verein einen kleinen Bereich mit zwei Kühlschränken. Und für den Gewinner des Blitzturniers hat Trainer Henkes eine Flasche Rheingauer Riesling gestiftet. Bierernst geht es also nicht vonstatten.

„Na klar will man gewinnen“, sagt Helga Reichenbach-Rahm, die als einzige Frau in der ersten Mannschaft spielt. Das Spiel bleibe dabei aber immer fair. Was ihr besonders gefalle: Alter oder Herkunft spielten keine Rolle. Auch im Urlaub finde sie schnell Anschluss über den Sport. Wer mit drei Kugel auf den nächsten Platz gehe, habe sofort Kontakt hergestellt. Sie denkt noch ein bisschen nach. Dann sagt sie: „Beim Boule kann ich abschalten.“ Sobald sie die Kugeln in der Hand halte, verfliege der Stress des Alltags. Es zähle nur der nächste Wurf.